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"Verschneite Hände"
Zeichnungen in der Ausstellung Snow White
Text von Johan Frederik Hartle
Linien Ziehen
Snow White, die von Katja Schlenker kuratierte Düsseldorfer Ausstellung, stellt die Frage: Was ist eine Zeichnung? Der Titel gibt Hinweise. Denn schneeweiß ist die Farbe des Mediums, das Zeichnungen kennzeichnet: Es sind in der Regel Arbeiten auf Papier. Aber Schnee ist nicht nur weiß, sondern rieselt auch. So suggeriert der Titel, dass sich die Zeichnung fortwährend neu erfindet, weil viel Schnee fällt auf das, was schon ist. Zeichnungen schneien zu, was eine Zeichnung war, machen tabula rasa auf dem Plateau ihrer Definitionen. Daher ist das Papier unbeschrieben, schneeweiß.
Etymologisch ist das Zeichnen mit dem Ziehen verwandt und im englischen to draw kommt beides noch heute zusammen: Wer zeichnet, zieht Linien. Snow White bezieht sich auf eine Menge von bereits gezeichneten Linien. Aber Linien Ziehen heißt auch Schneisen Schlagen. Wer Schneisen schlägt, räumt auf und legt neue Pfade. Die Ausstellung Snow White, die sich dem Medium Zeichnung widmet, skizziert die Möglichkeiten einer vom Mythos der Handschrift befreiten Zeichnung. Keine Handzeich-nung im klassischen Sinne also aber trotzdem Zeichnungen.
Die alte Kunst individueller Hände
Die Assoziation Handzeichnung liegt allerdings nahe, wenn von Zeichnung die Rede ist und wenn Zeichnen doch vom Linienziehen kommt. Und das, was einmal so genannt wurde, ist untrennbar mit der mythologischen Geschichte künst-le-ri-scher Autorschaft verknüpft. So hat die Zeichnung als Kunst einer individuellen Künstlerhand, die Linien zieht eine historische Stunde, die vielleicht bereits geschlagen hat.
Erst mit der Erfindung einer individuellen Hand in der neuzeitlichen Kunstreligion, in der man begann, das Künstlerindividuum als Genie zu verehren, trat die Zeichnung überhaupt als relevant hervor. Sie wurde als konzep-tuelle Vorstudie in die besondere Nähe des gedanklichen Entwurfs gerückt und konnte im Zeichen der Rede von idea und disegno interno eine besondere Dignität erhalten. Reinen Geist versprach der geistige Entwurf in den klar konturierten Linien zu repräsentieren. Und auch über die träge Sinnlichkeit der Farbe fühlte sich die Handzeichnung auf diese Weise erhaben. Die aristotelische Hierarchie von Form und Materie leistete ihr dabei Unterstützung.
Weil die Hand das Werkzeug des genialen Künstlers sein sollte, war die Zeichnung ihr Beweisstück. So hofften die Kunstreligiösen über Jahrhunderte mit der spontanen Handzeichnung dem genialischen Künstlersubjekt zum Greifen nahe zu kommen. Heute allerdings mögen Handzeichnungen als etwas verstaubte Reliquien solcher Vorstellungen von individueller Handschrift erscheinen.
Hände und die Strukturen, die ihnen vorausgehen
Und dennoch behaupten sich die kunstreligiösen Vorstellungen von Handschrift und Authentizität hartnäckig. Die Ausstellung Snow White arbeitet sich an ihnen ab. Denn alle Arbeiten, die in der Ausstellung präsentiert werden, haben mit Schemata und Strukturen zu tun, die der gestaltenden Hand vorausgehen und die ihren Kultus dadurch auch in Frage stellen. Die Ausstellung kehrt Strukturen hervor, die dort wirksam sind, wo gemeinhin individuelle Autorschaft unterstellt wird. Sie reflektiert kritisch, was der scheinbar authentischen Handschrift an semiotischer, medienökonomischer und sozialer Erfahrung vorausgeht. Und damit stellt sie die Möglichkeiten des authentischen Ausdrucks individueller Autorschaft zur Diskussion.
Denn jede einzelne der in Snow White präsentierten Arbeiten hat die strukturalen Grenzen der individuellen Hand der Handzeichnung zum Thema, in jeder einzelnen sind die Bedingungen ihrer Anonymisierung reflektiert. Die als Motive erkennbaren Illustriertenbilder in der Serie von Jan Stieding, die Filmstreifen in der Bildfolge von Elke Nebel, die übermalten Zeitungsmotive bei Joseph Zehrer ebenso wie die galaktische Apokalypse als kinematographisches Hightech-Bildmotiv bei Katja Davar sie alle verweisen auf die massenhaft wirksamen Bild- und Zeichensysteme, die der individuellen Hand vorgeschaltet sind. Denn bevor die Hand zum Bild kommt, sind bereits Unmengen an Bildern durch sie hindurchgegangen: Technische, massenhaft verbreitete und manipulierte Bilder. Und wie das Thema der Handschrift durch sie ins Hintertreffen gerät, so schreiben sie sich auch in die künstlerische Bildproduktion ein.
Wer will, kann auch in den unbewussten Zeilen, die mit den Arbeiten von Larissa Voltz und Katharina Jahnke vorgestellt werden ("Ein Tag voller Fehler" und Suddenly everything has changed), vorgängige Strukturen der individuellen Hand sehen: Unbewusste Subtexte souveräner Subjektivität. Und die Signaturen des Sozialen, die Jörg Wagner audiovisuell vermittelt mit seinem Interview rekonstruiert, sind ebenfalls Strukturen, die der individuellen Hand ihren Rhythmus vorgeben. Das ergänzende Lichtpauspapier mit seinen Leerstellen kann als Kommentar gelesen werden: Die Dunkelstellen, die auf dem Lichtpauspapier hinterbleiben, sind die Spuren solcher eben nicht nur individuellen Geschichten.
Jan Stiedings Zitate eines sozialistisch-militärischen Ethos von Sport und Arbeit (Subbotnik ist der Name einer seiner Zeichnungen) zeigen ähnliche soziale Texturen an, die sich in den Körper, in die Hand und die Zeichnung einschreiben: soziale Erfahrung und politische Geschichten.Und wo nicht der inhaltliche Verweis auf Bedeutungssysteme, die der individuellen Hand vorausgehen, im Vordergrund steht, da wird die individuelle Hand doch zugleich ein bisschen mechanisiert. Das schlichte und endlos wiederholte Druckver-fahren bei Larissa Voltz, die vom Licht geschriebenen Schatten in der Arbeit von Jörg Wagner, die nachträgliche Digitalisierung der Hand bei Katharina Jahnke (ebenso wie ihre eben maschinelle Textilverarbeitung) in all diesen Arbeiten ist die individuelle Handschrift durch ein anonymisiertes technisches Verfahren ersetzt oder verfremdet.
Ganz unmittelbar scheint Joseph Zehrer mit Händen, die segnend surreal durchs Bild wandern, auf die alte Kunstreligion der individuellen Hand anzuspielen. In Zehrers Bild ("Segenregen") sind die priesterlich scheinenden Hände schon nicht mehr nur einzelne, besondere Hände. Es sind reproduzierbare Hände. So liegen sie wie ein Spuk und eine tradierte Herausforderung über den Möglichkeiten zeitgemäß ästhetischer Bildproduktion. Die weißen Hände erscheinen im Dschungel der massenmedialen Zeichenwelten (hier: der Zeitungsausschnitte) als Aussparungen. Sie präsentieren sich dadurch ganz selbstbewusst als Unterbrechung der Strukturen, die ihnen vorausgehen.
Schnee
Die Zeichnungen in Snow White deuten durch intermediale Verweise auf die in der Aneignung und Entfaltung körperlicher Regungen dominanten Zeichen- und Mediensysteme hin; sie unterlaufen durch anonymisierte Techniken und Technologien die Bedeutung der individuellen Hand und zeigen soziale, technische und semiotische Zusammenhänge an, die dem jeweiligen Bild als Möglichkeiten seiner Produktion eingeschrieben sind. Immer wird der Mythos vom individuellen Künstlersubjekt dabei auch ein bisschen entzaubert.
Gerade deswegen wiederum lassen sich die präsentierten Arbeiten weniger als reine Schöpfungen verstehen. Die individuelle Hand als schöpferische tritt zurück. Eher stellen die gesammelten Zeichnungen Kommen-tare oder Eingriffe dar Eingriffe eben in die dominanten Bilderwelten und Zeichensysteme, die ihrer Produktion vorgelagert sind. Indirekt halten sie dabei der alten Vorstellung vom individuellen Künstlersubjekt jedoch die Treue. Sie schaffen kleine Irritationen in den Ordnungen, die das Leben schreiben, bauen reflexive Brüche in die Strukturen ein, die die großen Linien ziehen. In der kommentierenden Geste ist daher eine Spur individueller Einmischungen in das Spiel der Bilder präsent. Snow White ist der post-individuelle Schnee über den Linien, die einmal von der individuellen Hand gezogen wurden. Er eröffnet ihr in veränderter Form das Feld von neuem.
Johan Frederik Hartle
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